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Hannovers Oper vollendet den neuen Ring

Nachdem der Siegfried in Barry Koskys Ring an der Staatsoper Hannover szenisch nur wenige Akzente setzte, war die Spannung auf den letzten Teil umso größer, vielmehr die Frage, ob Kosky und sein Team Klaus Grünberg (Bühne) und Klaus Bruhns (Kostüme) auf der Zielgeraden noch einmal ein stärkeres Profil gelingt. Die Antwort auf diese Frage blieb am Ende allzu offen.

Diese Götterdämmerung hinterlässt szenisch einen disparaten Eindruck. Es gibt durchaus starke Momente und Bilder. Wenn etwa die Halle der Gibichungen nach Siegfried und Gunthers Aufbruch abgebaut wird – wohl als Zeichen dafür, dass mit ihrem Weg zu Brünnhilde der Weg ins Ende endgültig beschritten wird, die Welt und damit auch die Bühne sich aufzulösen beginnt – , Hagen auf leerer Bühne unter einem riesigen Kronleuchter zurückbleibt, nimmt das schon für sich ein. Aber es bleibt bei einzelnen Momenten, die Spannung und Kraft haben. Daneben gibt es einige Einfälle, bei denen Kosky vor allem zu Überzeichnung neigt. Der hysterische Freudentaumel Gunthers und Gutrunes etwa, wenn sie auf den Erlösung aus der Ehelosigkeit verheißenden Siegfried warten. Oder Hagens Mord an Siegfried – ein Messerstich hätte vollkommen ausgereicht, stattdessen schlachtet er Siegfried – der in dieser Szene das aus dem Siegfried bekannte Superman-Kostüm trägt – blutrünstig ab. Wenn Gesten zu oft wiederholt werden, laufen sie doch Gefahr, langweilig zu werden und ihre Wirkung zu verlieren. Völlig unvermittelt kommt der erneute Hinweis auf die jüdische Thematik, wenn Alberich zunächst mit Schläfenlocken, Gebetsschal, schwarzem, langem Gewand, ebensolchem Bart und breitem schwarzen Hut als recht plakative Karikatur eines Juden auftritt – die er dann im Verlauf der Szene bis auf die Unterhose ablegt. Der Auftritt von Hagens Mannen auf einer riesigen schwarzen, erst hinter Türen verschlossenen Kastentribüne ist wiederum ein Bild, das sich einprägt. Die Mannen als hirnlose und biertrinkende Hooligans passen wirken gegen die imposante Bedrohlichkeit ihres Herren aber eher belanglos.

Die Frage nach dem großen Ganzen erschöpft sich im zitieren und wiederaufgreifen einzelner Momente aus den bisherigen Teilen. Zu Beginn etwa taucht die bewährte Statistin Evelyn Gundlach wieder als alte nackte Erda auf, holt aus einem Pappkarton – einem solchen, in dem Alberich einst das Rheingold entführte – die Stühle heraus, auf denen dann die drei Nornen sitzen. Neben ihnen hängt eine Leinwand, auf der ein von Klaus Grünberg entworfener Animationsfilm abläuft, der die bisherige Geschichte erzählt. Dem schaut Erda zu. Ihr Auftreten in dieser Szene leuchtet ein. Warum sie aber den ganzen Abend über immer mal wieder allein oder mit Karton über die Bühne schleicht und so zur heimlichen Hauptfigur erhoben wird, am Ende auch als einzige auf der leergeräumten Bühne zurückbleibt, erschließt sich nicht immer. Auch das Auftreten einiger Figuren wie Mime, Alberich, dem Waldvogel, von Statisten gedoubelt, während Siegfried im dritten Aufzug langsam seine Erinnerung zurückbekommt, wirkt eher zu viel als erhellend. Einige szenische Brüche und Ungereimtheiten wollen sicher einfangen, dass die im Werk selbst angelegt ist. Ob das allerdings dabei hilft, die großen Züge der Geschichte zu transportieren, bleibt fraglich.

Der szenischen Unentschlossenheit steht am Ende des Zyklus nun die Kraft der Musik eindrucksvoll gegenüber. Wolfgang Bozic hat mit dem Staatsorchester zum Abschluss nicht nur dieses Ringes, sondern auch seiner Zeit in Hannover zu höchster Form gefunden. Er animiert sein Orchester zu präzisem, klangschönen und üppigen Spiel, spannt immer wieder scheinbar unendliche Bögen über die Partitur. In den reinen Instrumentalpassagen setzt er kräftige dynamische Akzente – ohne dabei lärmend zu werden – und hat ansonsten durchweg ein sehr sensibles Ohr für die Bühne, deckt den Gesang niemals zu.

Albert Pesendorfers Hagen überragt den Abend. Mit seinem ebenso schwarzen wie metallischen Bass und schier endlosem Volumen beherrscht er mit beeindruckender Präsenz die Szene. Diese herausragende stimmliche Leistung verbindet sich mit der Mimik und der hochgewachsenen Gestalt des Sängers zu einem bezwingenden Rollenporträt.

Gegenüber dem jungen Siegfried hat Robert Künzli an Sicherheit, Volumen und vor allem dem Vermögen, große Bögen und Piani zu gestalten, eindrucksvoll an Format gewonnen. Besonders sein Abschied bleibt nachhaltig im Ohr.

Kelly God und Brian Davis als Gutrune und Gunther setzen in den sängerisch so undankbaren Partien souverän Akzente. Monika Walerowicz ist eine anrührend verzweifelte Waltraute mit leuchtenden Mezzotönen. Frank Schneiders bleibt als Alberich stimmlich etwas blass. Julie-Marie Sundal, Mareike Morr und Dorothea Maria Marx singen die Nornen dramatischer Intensität, die beiden erstgenannten zusammen mit Carmen Fuggiss im dritten Akt dann sehr klangvolle Rheintöchter. Eindrucksvoll gerät ebenso die große Chorszene im zweiten Aufzug.

Zwiespältig bleibt der Eindruck von Brigitte Hahns Brünnhilde. In der ersten Szene mit Siegfried war von ihr vor allem in der Mittellage und Tiefe so wenig zu hören, dass durchaus Bedenken aufkommen konnten, ob sie den Abend übersteht. Das war vielleicht bewusster Zurückhaltung geschuldet, denn im zweiten Aufzug konnte sie doch einige große Momente gestalten. Im kräftezehrenden Schlussgesang profitierte sie schließlich sehr von Wolfgang Bozics absolut sängerfreundlicher Begleitung. Sie hat die Töne und war hörbar bestrebt, die möglichst sicher und schön zu singen. In der Summe jedoch bleibt konnte sie der Partie nicht vollkommen gerecht werden. Das ist schade, denn Brigitte Hahn ist eine absolut respektable Sängerin. Die Frage der weiteren Entwicklung ihres Repertoires sollte sie sicher noch einmal überdenken.

Der Beifall am Ende fiel in begeistertem Jubel für Albert Pesendorfer, großer Zustimmung für das übrige Ensemble und Wolfgang Bozic und gespaltener, Aufnahme des Regieteams aus. Vor allem aber war er recht kurz – ungewöhnlich kurz sogar für eine Aufführung, die musikalisch doch sehr beachtliche Form gewinnen konnte.

Christian Schütte